Zum Tod von

Wolfgang Rihm

Lieber Wolfgang,

ich durfte Dich als Musiker des Ensemble Modern seit nunmehr über vierzig Jahre kennen – und schätzen lernen. Oft sind wir uns begegnet, oft haben wir Dinge ausprobiert, manchmal haben wir, wie kleine Kinder „einfach mal was in die Welt gesetzt“, wie Du einmal sagtest.

Und seit ein paar Jahren haben wir auch über Krankheit gesprochen, ohne theatrales Tamtam. Sie hatte sich eingenistet in unser beider Leben, ungefragt, ohne Anmeldung, und also haben wir versucht sie einzubinden in unseren Alltag und ihren Sinn oder ihre Sinnlosigkeit wie einen Transpositionswechsel in einer Partitur begriffen. Das war so ungefähr unser beider Haltung dazu, und der Austausch darüber hat zu noch mehr Verbundenheit geführt.

Und wenn ich Dir diese Zeilen schreibe, dann atmen sie diese Vertrautheit, auch wenn ich sie im Namen des gesamten Ensemble Modern schreibe.

Wir möchten Dir danken für Deine großartigen Werke und für Deine Gesprächsbereitschaft, Deine klugen Kommentare und Deine große Zugewandtheit!

Du warst immer für uns da, (und „uns“ meint hier „alle“ Menschen, mit denen Du zu tun hattest), ob es um Musik ging oder die großen Themen des Lebens. Du hast uns, die aus den unterschiedlichsten Gründen Fragen an Dich hatten, mit Deiner klugen Art und Deinem scharfen Verstand immer geholfen, neue Zusammenhänge zu entdecken und so unseren Horizont zu erweitern. Du hast versucht das „Vorhandene“ im Menschen zu vergrößern, und nicht das „Fehlende“ zu benennen.

Ich habe immer gehofft, dass diese zen-hafte Positivität dem unerbittlichen Zersägen und Zersetzen des Ungetüms Krebs die Kraft nehmen würde – ihn einfach ins Leere laufen ließe.

Deine Fähigkeit, Phänomene zu verknüpfen, deren Sinnhaftigkeit anderen verborgen bleiben, zeigt sich vor allem auch in Deinen Kompositionen: aus Dir herauszutreten, immer wieder Neues anzugehen, dem leeren Notenblatt vor Dir zu trotzen und ihm die Magie des Unerhörten zu entlocken. Wie oft haben wir darüber gesprochen: Wie tritt man aus sich heraus, wie überwindet man sich selbst, seine ausgetretenen Pfade, seine Selbstversicherungen? Welche Fährten legt man, um den Absprung ins Unbekannte zu schaffen? Wie würde das Unbekannte klingen?

Deswegen musstest Du auch immer gleich hören, was Du geschrieben hast, das war Dir sehr wichtig. Denn erst das Erklingen der Komposition würde Gewissheit geben, würde das bestätigen, was Du vielleicht geahnt, aber nicht gewusst hattest. Im besten Fall hast Du Dich selber überrascht, wie Du mir letztens noch gesagt hast.

Das waren dann Deine glücklich(st?)en Momente. Ich glaube das zu wissen, weil ich auch Deine große Trauer darüber miterlebt habe, als Du immer weniger schreiben konntest.

Du hattest glücklicherweise das wohlverdiente Privileg, dass Musiker*innen auf der ganzen Welt Deine Werke gespielt haben. Wie gesagt, das brauchtest du, um überhaupt (weiter)arbeiten zu können. Dass wir ein Teil dieser Musiker*innen waren, macht uns stolz und glücklich. Und natürlich werden wir Deine Werke unseren Kindern und Kindeskindern zeigen ...

Dein großer Mitgestalter aus der benachbarten Kunstsparte, Thomas Bernhard, hat gesagt, er stelle sich den Himmel als hell, sehr sauber, schwerelos und unbeschwert vor – ein sehr schöner Ort.

Wie auch immer, lieber Wolfgang, wir wünschen Dir Frieden.

Hab Dank für Alles!

Uwe Dierksen für das Ensemble Modern