Fragebogen Johannes Maria Staud
PERSÖNLICHES/WERDEGANG
Stellen Sie sich bitte kurz vor. Was ist für Sie wichtig - auch außermusikalisch?
Geboren am 17.8.1974 in Innsbruck (Österreich)
Nach Abitur und Zivildienst Kompositionsstudium an der Wiener Musikhochschule bei Michael Jarrell (Komposition), Ivan Eröd (Tonsatz) und Dieter Kaufmann (Elektroakustische Komposition);
1999/2000 Hanns Eisler-Hochschule Berlin (Hanspeter Kyburz); mehrere Meisterkurse u.a. bei Brian Ferneyhough; Mitbegründung der Komponistengruppe "Gegenklang" (Organisation von Konzerten); Aufführungen: u.a. durch: Ensemble Modern, RSO Wien, Hugo-Wolf-Quartett, Ernesto Molinari, Dennis Russell Davies, Ensemble Kontrapunkte;
1999: Stipendium der Alban Berg-Stiftung
2000: 1. Preis beim Hanns Eisler-Kompositionswettbewerb
Kann man heute vom Komponistsein leben?
Bei mir persönlich geht es zur Zeit irgendwie. Es ist zwar immer eine ziemliche Unsicherheit im Hintergrund, aber solange ich irgendwie durchkomme, möchte ich schon versuchen, nur vom Komponieren zu leben.
Wie komponieren Sie (Herangehensweise, Dauer)?
Normalerweise komponiere ich zwei Werke pro Jahr. Ich würde mich als mittelschnellen Komponisten bezeichnen. Wenn mich eine Besetzung nicht reizt, ich mit irgendeiner Vorgabe nicht einverstanden bin, oder zu wenig Zeit zum Komponieren habe, lehne ich einen Auftrag auch ab. Wie am Fließband möchte ich nicht komponieren, da sonst die Qualität sicher sinken würde und ich nicht mehr hinter meinen Werken stehen könnte.
Inwieweit bedienen Sie traditionelle "Gattungen"?
Es gibt natürlich gewisse Gattungen (wie z.B. das Streichquartett), für das eine solche Unzahl von Werken komponiert wurde, dass es immer schwerer wird, klangfarblich noch Neuland zu beschreiten. Natürlich ist auf struktureller, rhythmischer oder harmonischer Ebene auch in diesen Gattungen noch viel möglich und noch lange nicht ausgereizt. Derzeit interessieren mich aber auch selbst eher "unkonventionelle" Besetzungen.
Wieviele Kompositionsaufträge erhalten Sie und wie kommen diese zustande? Warten Sie auf Aufträge und richten sich nach den Anforderungen oder reichen Sie fertige Kompositionen ein?
Pro Jahr erhalte ich etwa zwei Kompositionsaufträge. Meist rufen mich der Veranstalter oder das Ensemble an, weil ihnen ältere Werke von mir gefallen haben und bestellen ein neues Stück.
Wie beurteilen Sie die Lage von Komponisten heute im Vergleich zu vor 50 oder 150 Jahren?
Die gesellschaftspolitische Lage der Komponisten ist nach wie vor die gleiche. In einem Land wie Österreich, wo nahezu 30% der Menschen eine rechtsradikale Partei wählen, diese Partei sogar an der Regierungsbildung beteiligt wird und das öffentliche Klima seitdem deutlich verschärft ist, muss jeder Künstler nach seiner Möglichkeit Stellung beziehen - und zwar für Toleranz und gegen Ausgrenzung, für den Schwachen und gegen totalitäre Tendenzen. Eine Gesellschaft ohne Kunst ist genauso wenig denkbar wie Kunst ohne Gesellschaft. Ist es deshalb nicht so, dass Kunst gleichsam als Repräsentant für das Gewissen der Gesellschaft betrachtet werden kann und für ihre eigene Freiheit (und damit die der Gesellschaft) kämpfen muss?
Welche Musik hören Sie privat?
Neben zeitgenössischer Musik (siehe unten) höre ich auch viel Musik aus früheren Jahrhunderten (derzeit v.a. Monteverdi, Bach, Zelenka, Haydn, Brahms, Debussy und Mahler); aber natürlich auch - und das ist, finde ich, auch als Komponist sog. E-Musik sehr wichtig - neueste Strömungen in der sog. U-Musik (auch da entstehen interessante Dinge, die durchaus auch Anregungen für das eigene Komponieren liefern können). Vom sog. Crossover halte ich allerdings ziemlich wenig.
AUSBILDUNG
Was ist wichtig für die Lehrzeit von Komponisten?
Wichtig ist, finde ich, eine Kritikfähigkeit seiner eigenen Arbeit gegenüber zu entwickeln. Diese sollte ein möglichst affektiv unbeteiligtes "Sich-über-die-Schulter-Schauen" ermöglichen, und damit sehr schnelles Erkennen und Verbessern von problematischen Passagen bedingen. Als unbedingt nötig, erachte ich dabei auch, sich ein solides kompositorisches Metier anzueignen, das aber nicht "museal" zu verstehen ist, sondern helfen soll, auf möglichst unkonventionelle Weise seine innere Vorstellung in ein überzeugend klingendes Resultat zu übersetzen.
Müssen Sie sich als Komponist weiterbilden und wenn ja, wie?
Wahrscheinlich hört man wohl nie auf, sich weiterzubilden. Man lernt die Stücke seiner Kollegen kennen, studiert Partituren von anderen Komponisten, entdeckt für sich eine ältere Musik neu, und untersucht sie auf gewisse Aspekte (z.B. Instrumentation, formale Disposition, ...); man geht in Ausstellungen, ins Theater, ins Kino, liest Bücher, macht Reisen, diskutiert mit Freunden - von überall können Einflüsse kommen und direkt oder indirekt das eigene Komponieren bereichern oder verändern.
Wie beurteilen Sie die Ausbildung an den Hochschulen?
Ich persönlich hatte sehr viel Glück mit meinen Lehrern. Bei Michael Jarrell und Hanspeter Kyburz habe ich, so verschieden diese beiden Persönlichkeiten auch sein mögen, doch sehr viel gelernt.
Mit welchen Komponisten haben Sie sich während Ihres Studiums beschäftigt?
Besonders viel habe ich mich mit Edgard Varèse, der 2. Wiener Schule, Pierre Boulez, Morton Feldman, Luciano Berio, Yannis Xenakis und György Ligeti beschäftigt, aber natürlich auch mit Komponisten wie Tristan Murail, Helmut Lachenmann, Bernd Alois Zimmermann, Brian Ferneyhough, Toshio Hosokawa, Luigi Nono und dem frühen Karlheinz Stockhausen.
MARKT
Wie beurteilen Sie die Stellung Neuer Musik? Welche Perspektiven hat die Neue Musik?
Ihre Stellung ist natürlich immer die eines Minderheitenprogrammes (aber war das mit Neuer Musik nicht immer schon so?). Sie bietet dem Hörer neue Klangwelten, Unerwartetes, oft Irritierendes an, sie stellt seine Hörgewohnheiten auf eine harte Probe. Aber in einigen Jahrzehnten ist sie (vielleicht ist da auch ein bisschen Wunschdenken dabei) gute, alte, schöne (!) Musik.
Unterliegt Ihrer Meinung nach Neue Musik heutzutage auch den Gesetzen des sogenannten Markts?
Leider unterliegt auch die Neue Musik den Gesetzen des freien Marktes, auch hier bestimmen Angebot und Nachfrage zu nicht unerheblichem Ausmaß die "Bedeutung" eines Komponisten. Aber dadurch, dass sich vieles im No-profit-Bereich abspielt, und manches doch aus echtem Interesse an neuen Klängen auf die Beine gestellt wird, könnte man die "Neue Musik-Szene" noch unter Anführungszeichen als Insel der Seligen bezeichnen.
Viele Komponisten behaupten, sie komponieren nicht für ein Publikum - wie sieht das bei Ihnen aus?
Ich möchte einfach die Musik schreiben, die mir selbst als Zuhörer gefallen würde, bei der es einem nicht langweilig wird. Eine Musik, die so komplex ist, dass sie nicht sofort zu erfassen ist, sondern den Zuhörer in einen Strudel mitreißt. Wenn es nun meiner Musik gelingt, den einen oder anderen Zuhörer zu begeistern, zu überraschen oder mitzureißen, freut es mich und motiviert mich gleichzeitig für die nächsten Arbeiten. Jede andere Antwort wäre geheuchelt.
Komponieren ist nun einmal Kommunikation, auch wenn man das manchmal in vielen einsamen Komponierstunden beinahe vergessen sollte. Damit meine ich aber kein Gefallen-Müssen um jeden Preis, kein Schielen auf Hörgewohnheiten, sondern ein Komponieren, das sich selbst treu bleibt und Neuland auf eigenständige Weise beschreiten will.
Welche Rolle spielen heute die Verlage bzw. die Phonoindustrie für die Neue Musik?
Verlage helfen natürlich sehr bei der Verbreitung und Vermarktung eines Komponisten. Die Phonoindustrie verliert meiner Meinung nach spätestens seit Einführung des Internet an Bedeutung.
PERSPEKTIVEN
Welches sind Ihre persönlichen Perspektiven/Projekte für die Zukunft?
Meine nächsten Kompositionen sind ein großes Ensemblestück für das Klangforum Wien (UA: Nov. 2001 in Basel), ein Klavierkonzert für Thomas Larcher und das RSO Wien (UA: Okt. 2002 in Wien), ein Werk für das Festival in Witten 2003 (wahrscheinlich unter Einbeziehung von Elektronik), ein Werk für Posaune solo (als Weiterentwicklung meines Stückes Incipit (für Altposaune und 5 Instrumente - UA durch das Ensemble Modern am 10.2.2001 in Paris) für Uwe Dierksen.
Danach würde ich mich gerne einem abendfüllenden Musiktheaterwerk widmen.
AUFTRAGSKOMPOSITION
Bitte beschreiben Sie Ihr Werk, das im Auftrag der Stadt Frankfurt und des Ensemble Modern entstand und Ihre Überlegungen in diesem Zusammenhang.
Mein Werk Vielleicht zunächst wirklich nur - 6 Miniaturen für Sopran und 6 Instrumente (Alt/Bassfl., Trp., Perc., Hrf., Vla., Kb.) - das vom Ensemble Modern und Christine Whittlesey unter der Leitung von Stefan Asbury im April des letzten Jahres uraufgeführt wurde, ist meine persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema Miniatur. Die verwendeten Textstellen stammen aus dem gleichnamigen Werk von Max Bense, wo mit den Mitteln der konkreten Poesie ein alptraumhafter Plot durch ein Maximum an sprachlicher Reduktion in ein äußerst fragiles und poetisches Textgebilde verwandelt wird.
Momentaufnahmen, instant erfühlbare Kleinformen, in denen das Augenmerk nicht auf großangelegte Dramatik, epische Breite oder expressionistische Geste gelegt wird, entzünden sich am spezifischen Klang, Sprachrhythmus und der Intensität der jeweils zugrundeliegenden Textstelle.