Fragebogen Markus Hechtle
Zunächst eine Vorbemerkung zum Fragenkatalog. Tatsächlich scheint es sich hier um eine Art Fragebogen zu handeln, der etwa vom Staatlichen Amt für Komponistenzulassung oder der Städtischen Behörde zur Überwachung kompositorischer Vorgänge in Auftrag gegeben sein könnte.
Andererseits weiß ich, dass sich dahinter ein ganz ernstes, ja zärtliches Interesse an den Komponisten der jüngeren Generation verbirgt.
Dieses Spannungsverhältnis wird sich auch in meinen Antworten widerspiegeln, insbesondere auf Fragen, die in der Kürze nicht oder nur augenzwinkernd zu beantworten sind.
PERSÖNLICHES/WERDEGANG
Stellen Sie sich bitte kurz vor. Was ist für Sie wichtig - auch außermusikalisch?
Mein Name ist Markus Hechtle, dieses Jahr werde ich 34 Jahre alt, meine Hobbys sind lesen, Kino, rauchen. Wichtig sind für mich, auch außermusikalisch, meine Freundin und meine Freunde.
Kann man heute vom Komponistsein leben?
Ich kann nur von mir sprechen. Nein, aber ich versuch's trotzdem, weil es auch keine wirkliche Alternative gibt, für mich zumindest nicht. Andererseits möchte ich auch nicht aus finanziellen Gründen von einem Auftrag in den nächsten rutschen müssen... Ich finde es nicht leicht, hier einen Weg zu finden, immer am Existenzminimum. Leider kann man auch deshalb nur schlecht als recht davon leben, weil wir meist nicht gut bezahlt werden im Verhältnis zur investierten Zeit; honorarmäßig rangieren wir eher in den Bereichen einer Hilfskraft. Indem ich das thematisiere, höre ich schon die Stimmen, die entgegnen: »Nestbeschmutzer! Sei doch froh, dass du überhaupt etwas verdienst, es gibt andere, die würden ganz umsonst riesige Symphonien in kürzester Zeit abliefern«, etc... Aber ich will auch nicht jammern, das habe ich schon vorher gewußt.
Wie komponieren Sie (Herangehensweise, Dauer)?
Ich gehe selten direkt an eine Musik heran, meist über Umwege, Verschlingungen, Sackgassen und Unterhölzer. Verletzungen, die ich mir dabei zuziehe, machen mich aufmerksamer, geben Hinweise. Manchmal höre ich von weitem Stimmen, von Einzelnen oder von Grüppchen, die einen anderen Weg genommen haben, dann rufen wir uns zu und freuen oder ärgern uns, nicht alleine zu sein. Zu Begegnungen kommt es selten. Um Lichtungen zu finden, wende ich die dafür nötige Zeit auf, das kann manchmal sehr lange dauern und meist habe ich bis dahin noch keine Note geschrieben. In der verbleibenden Zeit warte ich auf Aufträge, d. h. ich sitze neben dem Telefon, dem Faxgerät, dem Computer (E-Mail) oder beobachte meinen Briefträger. Wenn dann endlich ein Auftrag vorliegt, richte ich mich nicht nach den Anforderungen (bei ›screen‹ für's Ensemble Modern habe ich allerdings eine Ausnahme gemacht, eigentlich hatte ich das Stück für 73 Handharmonikaspieler konzipiert, wurde dann jedoch durch fehlende Kapazitäten böse überrascht.)
Inwieweit bedienen Sie traditionelle »Gattungen«?
Sie haben das Wort selbst in Gänsefüßchen gesetzt, wahrlich nicht ohne Grund, denn Gattungen gibt es schon, aber sie sind alt und grau und suchen sich selbst die Komponisten, von denen Sie bedient werden wollen (meist auch alte und graue). Ich bediene also keine Gattung, mag aber sehr den Vorgang der »Be-Gattung«, nämlich die fruchtbare und befruchtende Zusammenarbeit zwischen Komponist und Musikern, wie hier mit dem Ensemble Modern.
Wieviele Kompositionsaufträge erhalten Sie und wie kommen diese zustande? Warten Sie auf Aufträge und richten sich nach den Anforderungen oder reichen Sie fertige Kompositionen ein?
Ich erhalte durchschnittlich 1,34 Aufträge im Jahr, von denen ich ca. 76% annehme. Nein, im Ernst: das mit den Aufträgen kann ich nicht genau beantworten. Es ist ja nicht so, dass ich ein Komponierbüro betreibe, mit Akquisition, Buchhaltung und Jahresbilanz. Ich versuche einfach die Projekte, die mir am Herzen liegen weiterzuentwickeln und interessierte Partner zu finden. Das ist mir viel, viel wichtiger als auf »anonyme« Aufträge zu warten.
Wie beurteilen Sie die Lage von Komponisten heute im Vergleich zu vor 50 oder 150 Jahren?
Auf wen Sie wohl mit diesen präzisen Zeitangaben anspielen? Stockhausen und Schumann oder Schönberg und Brahms? Es hat sich nichts wesentliches geändert seit Beethoven, jedenfalls bezogen auf künstlerische Potenz (auch Viagra hilft hier noch nicht); die finanzielle Situation hat sich für viele bestimmt verbessert, bedingt durch Stipendien, Stiftungen und Preise.
Welche Musik hören Sie privat?
Keine.
AUSBILDUNG
Was ist wichtig für die Lehrzeit von Komponisten?
Die Lehrzeit ist wahrscheinlich die Lebenszeit?
Entwicklung der Imaginationskraft, der Phantasie.
Ermutigung zur eigenen Entscheidung, auch zur Orientierungslosigkeit, Entwicklung von Starrsinn, Mut zum Diskurs, auch zum erbitterten.
Zu lernen, dass es kein richtig und kein falsch gibt beim Komponieren (im Gegensatz zum schulmeisterlichen Tonsatz), dass man nichts benutzen kann und dass man nichts benutzen kann, dass es doch richtig und falsch gibt, dass aber nur du jede Entscheidung zu treffen und zu verantworten hast, nur du allein.
Strategien zu finden zur Entwicklung eigener Welten und zur Zerstörung eigener Welten.
Wut im Bauch. Zorn. Widersprüche ertragen, Widersprüche verabscheuen. Lineares Denken verabschieden, lineares Denken entwickeln.
Finden und Verlieren, Sichern und Aufgeben, Fragen und Antworten.
Dabei Unsicherheit, Offenheit, Verletzbarkeit niemals unterbügeln. Und unentbehrlich: Gesprächspartner zu finden. Mitdenker, Mitfühler, Mitleider, Kritiker.
Und und und... alles wieder vergessen.
Handwerk geht dann Hand in Hand...
Müssen Sie sich als Komponist weiterbilden und wenn ja, wie?
Was, noch weiter?
Ehrlich gesagt: eine fast absurde Frage. Als gäbe es mit dem Diplom an einer Hochschule eine Bescheinigung über das Erreichen des künstlerischen Endstadiums.
Aber vielleicht meinen Sie es ganz handfest: neue Technologien, Elektronik, etc. Die Beschäftigung damit entsteht bei mir als Resultante der Arbeit, d.h. wenn ich glaube, dieses oder jenes zu benötigen, dann arbeite ich mich ein. Das kann auch ein Instrument sein, das ich noch nicht kenne. Materiale Herausforderungen und spielerisches Interesse allein sind mir fast fremd (auch beim Komponieren).
Wie beurteilen Sie die Ausbildung an den Hochschulen?
Wer an eine Hochschule kommt, ist in der Regel schon ein gutes Stück weit ausgebildet, zumindest was technische Aspekte betrifft.
Dann wird er oft eingebildet oder verbildet. Manchmal habe ich den Eindruck, dass es nirgends soviele altkluge, philosophierende, frühergraute, leblose Schwätzer wie unter den Komponisten gibt. Daneben nicht die komponierenden Ingenieure zu vergessen, auch sie können es weit bringen in der Szene. Ansonsten muss man Glück haben, auf einen geeigneten Lehrer zu treffen. Ich hatte Glück, großes Glück, mit allen Komponisten, auf die ich im Laufe meines Studiums traf. Alle haben mir enorm weitergeholfen, jeder auf seine Weise. Deshalb kann ich schwer die allgemeine Situation an den Hochschulen beurteilen, wahrscheinlich gibt es nur die individuelle Sicht.
Mit welchen Komponisten haben Sie sich während Ihres Studiums beschäftigt?
Mit vielen und mit vielen nicht. Aber das Studium geht ja nach dem Studium weiter, da habe ich gar keine Sorge, und es gibt immer wieder Entdeckungen, die mich heiß machen, sei's aus Unkenntnis oder aus ungeahnter Neuwahrnehmung von Bekanntem. (Außerdem habe ich einen großen Vorteil: Ich vergesse vieles sehr schnell, kann z.B. keine Melodien erinnern. Das hilft bei wiederholtem Hören ungemein gegen Langeweile).
MARKT
Wie beurteilen Sie die Stellung Neuer Musik? Welche Perspektiven hat die Neue Musik?
Die Neue Musik hat alle Perspektiven und Möglichkeiten, die Musik jemals gehabt hatte. Ich bin der festen Überzeugung, dass alles, was kommen wird, von individuellen Potenzen gestaltet wird. Das meint aber eben keine Absage an die Moderne, sondern die Beschwörung und Verteidigung der Moderne durch die Einsicht, daß Kunst immer an individuelle Kraft und Verantwortung gebunden ist. Freiheit und Phantasie gibt's eben nicht als ideologische Verordnung; systematische Ansätze sind immer nur so gut, wie derjenige, der sich damit beschäftigt, damit umgehen kann. Das hat nicht nur das 20. Jahrhundert gezeigt.
Unterliegt Ihrer Meinung nach Neue Musik heutzutage auch den Gesetzen des sogenannten Markts?
Seien wir ehrlich: Der Markt der Neuen Musik ist ein kleiner Binnenmarkt, weitgehend beherrscht durch inzestuöse Verwicklungen, von manchmal biederen Neigungen einzelner Programmmacher und Redakteure, risikoscheuen Typen meist, die glauben, ihre Vorlieben wenig leidenschaftlich in Szene setzen zu müssen. Aber gottseidank gibt es auch die anderen, die Mutigen, die Begeisterungsfähigen, die ihren Job ernst nehmen und beständig und wachsam auf der Suche sind. Markt, das heißt auch: das Wesentliche leidet oft. Komponisten sind dann hipp, wenn sie gemeinsam mit anderen hopp machen und das möglichst oft. Frequenz, Präsenz, das sind die Zauberworte für eine steile Karriere; wer interessiert sich schon näher für den Müll, der da in der Hektik oft fabriziert wird. In einem Gespräch sagte mir kürzlich ein junger Kollege ganz unverholen ins Gesicht, dass seiner Meinung nach die Zeiten des Diskurses vorbei seien, jeder solle doch machen, was er wolle, schließlich ginge es ja nicht um individuelle Handschriften, sondern schlichtweg darum, ob man gespielt wird oder nicht (»Wenn ich nicht gespielt werde, dann wird eben jemand anders gespielt, deshalb muss ich mich darum kümmern, dass ich gespielt werde«); jede andere Haltung etwa, die um Inhalte ringe, sei lächerlich heroisch. Ich muss ehrlich sagen, dass mich das furchtbar schockiert hat, eine Haltung, die ich zwar latent vermutete, so deutlich jedoch noch nie ausgesprochen gehört habe. Natürlich kann und soll jeder machen, was er will und sich ausdrücken, wenn und wo er muss, etc., blabla...., das ist doch kein Niveau für eine ernsthafte Diskussion! Und natürlich ist der sprachliche Diskurs sekundär, jeder auf seine Weise, mit seinen Möglichkeiten. Niemand, der sich primär musikalisch äußert, muss theoretisch unterkellert oder philosophisch überbaut sein, aber Kritik und Diskussion, also Kommunikation, ist doch begleitendes Element. Es gehört eben auch zur Arbeit des Komponisten sich reflexiv mit den scheinbaren Gesetzen des Marktes auseinanderzusetzen, auch mal die eine oder andere Auftrags- oder Aufführungsmöglichkeit auszulassen, wenn man das Gefühl hat, die Arbeit würde dadurch nicht unbedingt vorangebracht. Während ich das schreibe, komme ich mir fast wie ein Spielverderber vor, furchtbar ernst und verbiestert, fast großväterlich besorgt um die alten romantischen Ideale. Allein das ärgert mich kolossal! Überhaupt scheint mir die allgemeine gesellschaftliche Tendenz, kritische Töne, die aus einer linken Tradition stammen könnten, von vornherein auszumerzen oder als gescheitert zu belächeln, auch in der Musik Fuß gefasst zu haben. Hauptsache freundlich und diskret. Es klingt pathetisch, aber diese Schlacht ist noch zu schlagen!
Viele Komponisten behaupten, sie komponieren nicht für ein Publikum - wie sieht das bei Ihnen aus?
Ich schreibe für ein Publikum, da gibt's keinerlei Zögern. Ich möchte, dass meine Musik gespielt wird, dass sie klingt in unterschiedlichen Räumen, durch unterschiedliche Musiker, für unterschiedliche Zuhörer. Das ist für mich eines der schönsten Erlebnisse: nach langer Zeit am Schreibtisch endlich die sinnliche Wahrnehmung der Musik und die Möglichkeit, meine Musik einem Publikum anzubieten, vorzuführen. Dann im Saal zu sitzen, gemeinsam zuzuhören, dem, was ich lange nur alleine imaginierte. Ich sage es offen: gäb es es das nicht, ich würde nicht komponieren. Die Schublade ist kein Ort, dem ich meine Arbeit gerne anvertraue. Nein, Musik muss klingen und gehört werden, darauf sind wir als Komponisten angewiesen. Was ich niemals tue: Das Publikum zu bedienen, und darauf zielt die Frage im eigentlichen. Aber wir sprechen ja nicht etwa über Fernseh- oder Werbemusik, wo Musik tatsächlich eine kommerzielle Funktion erfüllt, also innerhalb klar abgesteckter Zielvorgaben funktionieren muss (natürlich gibt's auch hier glückliche Ausnahmen, die weit über diese Vorgaben hinausweisen!). Es gibt keinen Grund, wieso wir das in der Neuen Musik tun sollten, wenn ich schon diesen Weg gewählt habe, dann möchte ich mindestens das tun, was ich tun will. Der Witz ist: Ich bin überzeugt, dass das Publikum nicht bedient werden will und auch nicht bedient werden kann! Es möchte überrascht, konfrontiert und ernst genommen werden. Deshalb geht es in die Konzerte, um etwas zu erfahren, etwas zu erleben. Es möchte darauf reagieren, selbstbewusst und entscheidungsfreudig. Dann entstehen wunderbare Konstellationen zwischen Musikern, Komponisten und Publikum.
Welche Rolle spielen heute die Verlage bzw. die Phonoindustrie für die Neue Musik?
Das kann ich nicht beurteilen, darüber weiß ich zu wenig.
PERSPEKTIVEN
Welches sind Ihre persönlichen Perspektiven/Projekte für die Zukunft?
Es gibt unterschiedliche Pläne mit unterschiedlichen Partnern, die ich in absehbarer Zukunft entwickeln und realisieren möchten, u.a. ein Musiktheaterprojekt. Wie, wo und wann kann ich noch nicht sagen. Daneben gibt es Projekte, die noch keine Realisierungsperspektive haben, mich aber immer wieder umtreiben. Sowieso muss ich nach jedem abgeschlossenen Projekt (screen ist jetzt erst 3 Wochen alt) zunächst zur Ruhe kommen, neu anfangen, mich orientieren (auch Dinge des Alltags, die im Stress liegengeblieben sind, müssen organisiert werden).
AUFTRAGSKOMPOSITION
Bitte beschreiben Sie Ihr Werk, das im Auftrag der Stadt Frankfurt und des Ensemble Modern entstand und Ihre Überlegungen in diesem Zusammenhang.
screen hat viele Entwicklungen und Veränderungen bis zu seiner Uraufführung durchgemacht. Eine ganz frühe Vorstellung war: Auf der Bühne eine große Leinwand, weiß, leuchtend. Rechts und links davon die Musiker des Ensembles, jeder mit Mikro, also potentiell verstärkbar. Am Mischpult ein Musiker, der jederzeit in den Klang eingreifen kann, nicht mit live-elektronischen Effekten, sondern mit rabiater Verstärkung (Verstärkung als Instrument!). Lautsprecher. Drei Medien also! Musikalische Impulse zeugen sich bildnerisch fort, formen sich um, geraten ins Stocken oder werden neu aufgeladen, getriggert. Bild als energetisches Transportband, Rolltreppe. Die Verstärkung: Zoom, Blende, Filter; meist punktuell, kurz und scharf Klangschmutz am Rand, Umbruchgeste, übermächtiger Schatten, brutale Lupe. Befehl zur Richtungsänderung, Stopsignal, Selbstzenszur. Es war eine hermetische Vorstellung, in die mir während der Arbeit Wasser einbrach. Die Leinwand musste dran glauben, und auch die Funktion der Verstärkung veränderte ich immer weiter, sie wurde mehr und mehr Verstärkung dessen, was ohnehin schon laut war. Aufblasmechanik, Redundanzmittel. Außerdem setzte ich die Verstärkung viel seltener ein, als ursprünglich gedacht. Enstanden ist screen für Ensemble mit Verstärker, eine Musik, der ich mich über Grade von Kontraktion, Spannung, Entspannung, über energetische Zustände genähert habe. Durchzittern von Zeit und Aushalten von Zeit. Für mich existentielle Erfahrungen, nicht nur in der Musik, aber in und mit Musik auch gestaltbar, formulierbar, teilbar. Aber das sind nur Aspekte unter anderen... An dieser Stelle möchte ich mich ganz öffentlich beim Ensemble Modern bedanken. Diese Zusammenarbeit hat mich wirklich glücklich gemacht! Es ist selten, daß Musiker über die oft enormen technischen Anforderungen hinaus, überragende musikalische Qualitäten mitbringen und einzusetzen vermögen. Und genau hier hat mich das Ensemble restlos überzeugt: alle Bemühungen und Anstrengungen im Dienste musikalischer Gestaltung. Denn ehrlich gesagt: ich habe immer Angst vor technischer Raffinesse, die nur Raffinesse, vor perfekter Professionalität, die nur perfekt bleibt. Nichts davon ist eingetreten, stattdessen: Musik. Nochmals herzlichen Dank!