CONNECT - The Audience as artist
10 Fragen an den Komponisten Christian Mason›CONNECT – das Publikum als Künstler‹ lautet der Titel des Projekts. Die Grenzen zwischen Interpret und Zuhörendem verschwimmen. Was bedeutet das für Ihre Rolle als Komponist? Was hat Sie an dem Projekt interessiert?
Mich interessiert immer die Frage, was Zuhören bedeutet, und wie unsere Art des Zuhörens sich verändert, wenn wir auch an der Erzeugung des Klangs beteiligt sind. Die Erfahrung des Zuhörers als »Außenseiter«, der zusieht, wenn professionelle Musiker auf einer Bühne spielen, die auch als physische Barriere wirkt und Ensemble und Publikum trennt, unterscheidet sich vollständig von der Erfahrung, vom Klang umgeben zu sein und zu ihm beizutragen. Meine Intuition sagt mir, dass wir bei der Konzentration auf unseren eigenen Klang (hoffentlich!) auch sorgfältiger den Klängen lauschen, die andere um uns herum erzeugen. Attraktiv fand ich das Potenzial dieses Projekts, die Barriere zwischen Musikern und Zuhörern aufzulösen, indem das gesamte Publikum eingeladen wird, an der Erzeugung der Klänge, die das Wesen des Stücks definieren, mitzuwirken.
Arbeiten Sie während des Kompositionsprozesses mit den vier Ensembles zusammen? Wenn ja, wie?
Ich bin im Kontakt mit allen vier Ensembles gewesen, habe ihre Konzertsäle besucht, ihre Musiker und Manager getroffen, Proben und Konzerte gehört, das war ein großes Vergnügen und hat mich inspiriert. In der Frühphase des Projekts diskutierten wir diverse Möglichkeiten von Workshops als Teil des Prozesses der Ausarbeitung. Es gab zwei Bereiche, die meinem Gefühl nach das Experimentieren und die Feinjustierung durch die Workshops benötigten: zunächst der Ansatz zur Interaktion und der Beziehung zwischen dem Publikum und den professionellen Musikern; ferner die Kommunikation innerhalb des Ensembles selbst, da viele der Musiker außerhalb der Bühne, mitten im Publikum spielen werden. Den ersten Workshop hat die London Sinfonietta im Mai abgehalten und dabei den Gebrauch der Schlagzeug-Einsätze für die Publikumsaktionen ausprobiert. Im Juni fahre ich nach Frankfurt zu einem weiteren Workshop mit dem Ensemble Modern, wo ich hoffe, meine Experimente mit der Beschaffenheit des Publikums fortzusetzen, und auch, um herauszuarbeiten, wie sich die »Solisten« neben der Bühne am besten mit dem Ensemble auf der Bühne synchronisieren lassen.
Neben dem Austausch mit den Ensembles steht vor allem die Kommunikation und Interaktion mit dem Publikum im Vordergrund. In welcher Weise wird das Publikum in Ihrem Werk in das Konzertgeschehen eingebunden?
Jedes Publikumsmitglied wird eingeladen (natürlich nicht gezwungen), am Stück teilzunehmen. Ich habe fünf »Publikumsklänge« ausgewählt, die nach und nach im Verlauf des Stücks eingeführt werden: Alufolie, Baoding-Kugeln (chinesische Qigong-Kugeln mit kleinen Glocken im Inneren), Metall-Ketten, Glasflaschen und Mundharmonikas. Jeder Klang wird eine Rolle bei der sich entwickelnden Form des Stücks spielen, und das Publikum muss besonders auf den Schlagzeuger des Ensembles achten, der mit unterschiedlichen Instrumenten und Gesten den Anfang und das Ende jedes Publikumsklangs anzeigen wird. Es wird weder Projektionen noch visuelle Einsätze geben, also muss man immer sehr genau zuhören. Ferner hoffe ich, die Beschaffenheitsprozesse zu definieren, um die Dichte des Publikumsmaterials formen zu können. Ich hoffe, dass das gesamte Publikum sich ultimativ anfühlen wird wie eine Art seltsamer, schimmernder Organismus oder eine waldartige Umgebung.
Wie erfolgt die »Vorbereitung« des Publikums?
Die Vorbereitung des Publikums ist relativ klar definiert. Wir werden vor jeder Aufführung des Stücks einen Trainingsworkshop für diejenigen anbieten, die Mundharmonika oder Glasflaschen spielen möchten, um bestimmte Instrumentaltechniken und Gesten einzustudieren. Die Alufolie, Metallketten und Baoding-Bälle werden einfach an das Konzertpublikum bei seinem Eintreffen verteilt. Die technischen Erklärungen und Einsätze, mit denen man hierzu vertraut sein muss, werden am Beginn des Konzerts bekanntgegeben.
Wie groß ist der Gestaltungsspielraum des Publikums? Wie ist das Verhältnis von festgelegten und durch das Publikum beeinflussbaren Elementen?
Die musikalischen Elemente sind zum größten Teil vorgegeben: Wo jeder Klang in welcher Form erscheinen soll, welche Geste und Intensität er besitzen soll, ist in der Partitur notiert und wird durch präzise Einsätze des Schlagzeugers angezeigt. Aber die Details der Publikumsmusik sind nicht notiert, so dass die Art, in der jedes Abendpublikum das Stück spielt, vermutlich jeweils einen ganz anderen Klang für jede Aufführung hervorbringen wird. Es gibt auch noch andere Variablen; zum Beispiel schreibe ich nicht die genaue Tonhöhe der Glasflaschen vor, und ich vermute, es werden bei jeder Aufführung andere Flaschen verwendet, je nach dem lokalen Bier/Wein/Wasser. Das wird also auch jedes Mal einen komplett anderen Klang erzeugen, auch wenn die Flaschen immer an derselben Stelle in der musikalischen Struktur vorkommen.
Wie gehen Sie mit dem Faktor des Ungewissen – der Unberechenbarkeit des Publikums – in Ihrer Komposition um?
Die Publikumsklänge sollen von vielen Menschen gleichzeitig erzeugt werden und sich zu einem Gesamtklang vermischen. Das bedeutet, dass kein Individuum im Publikum zuviel persönliche Verantwortung für das musikalische Ergebnis trägt. Gleichzeitig ist jedoch jeder Beitrag wichtig für die Gesamtqualität und die Klangintensität – wie die Punkte in einem Gemälde von Georges Seurat. Ich habe ferner sorgfältig Klänge ausgewählt, die niemandem während der Aufführung peinlich sein könnten. Mir ist bei anderen Gelegenheiten aufgefallen, dass es vielen Menschen unangenehm ist, zu singen oder Sprechgeräusche zu machen. Vielleicht sagen diese Klänge zuviel über unsere persönliche Identität aus und fordern Aufmerksamkeit für uns als Individuen ein? In jedem Fall glaube ich, dass es niemandem peinlich sein muss, mit einem Stück Alufolie herumzuwedeln. Und auch wenn jemand an der falschen Stelle einsetzt, würde das das Stück nicht ruinieren. Die einzige Ausnahme sind einige Momente sorgfältig auskomponierter »Stille«!
Was wäre, wenn das Publikum die Interaktion verweigern würde?
Ich habe genug Musik für das Ensemble geschrieben, damit in jedem Fall etwas Hörbares übrig bleibt. Aber eine essenzielle Ebene des Stücks ginge dann verloren, und die Gesamtidee würde keinen wirklichen Sinn ergeben. Es wäre wie ein Foto von ein paar Vögeln, dem Meer und dem Himmel, aus dem man den Himmel herausretuschiert hätte. Wir würden die Perspektive verlieren. Trotzdem gibt es ja gar keine echte Stille – wenn sie also nicht die Geräusche machen, die ich verlange, bliebe vielleicht immer noch ein interessanter Eindruck vom Raum, der die Ensemblemusik umgibt. Ich hoffe jedoch, dass das nicht passiert.
Ihr Stück wird in kurzer Folge in vier europäischen Städten aufgeführt. Vermuten Sie, dass das Publikum aufgrund unterschiedlicher kultureller Herkunft und Hörerfahrungen auch unterschiedlich agiert und reagiert?
Das scheint mir sehr wahrscheinlich, aber ich würde lieber abwarten, was geschieht, anstatt Prognosen zu machen ... Hoffentlich möchte jeder Konzertbesucher auch wirklich anwesend sein!
Welche Erwartungen haben Sie an die Aufführungen? Unterscheiden sich Ihre Erwartungen von denen bei einem herkömmlichen Konzert?
Nicht wirklich, von der Notwendigkeit abgesehen, am Anfang des Konzerts dem Publikum die Spieltechniken und die Einsätze des Schlagzeugers zu erklären. Meine Idealvorstellung von einem Konzert ist eine, bei der alle sich konzentrieren und die Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Augenblick der Musik lenken. Man spürt es, wenn das passiert, und es ist ein wunderbares Gefühl. Vermutlich haben traditionelle Konzerte mehr Huster und Geraschel anstelle solch perfekter Konzentration aufzuweisen. Ich hoffe, wenn alle ohnehin damit beschäftigt sind, Klang zu erzeugen, wird es nicht nötig sein, noch Huster hinzuzufügen. Aber das klingt jetzt, als würde ich eine Einladung aussprechen ...
Wie wichtig sind bei diesem Projekt die Neuen Medien?
Nicht besonders wichtig, außer dass mit ihrer Hilfe vielleicht mehr Leute von der Gelegenheit zum Mitmachen erfahren könnten. Und je mehr, desto besser! Aber hoffentlich können wir während des Konzerts einmal für ein paar Minuten nicht an Facebook denken ...